SIR, GIMME MONEY, SIR!

Mein fürchterlicher Husten lässt mich aufwachen, neben mir hinterlässt gerade ein Hund seinen Haufen und der losfahrende Jeepney bläst mir eine pechschwarze Rauchwolke ins Gesicht. Aua! Mein Rücken tut weh. Meine Pappe auf der ich schlafe war auch schon mal weicher, zumindest glaube ich das. Ich setze mich auf und strecke mich. Letzte Nacht habe ich nicht gut geschlafen, ständig diese lauten Motoren und dann die Fußschritte, die an mir vorbeilaufen. Dazu noch die Albträume, die mich aufs neue verfolgt haben. Es stinkt, ich stinke. Meine Haare sind dreckig, genauso meine nackten Füße.

Auf dem Bild ist ein Kind in rotem Gewand zu sehen das auf der Straße mit Feuer spielt.

Es ist früh am morgen, die Leute gehen zur Arbeit, während ich auf der Treppenstufe, auf der ich geschlafen habesitze und den letzten übrig gebliebenen Piso durch meine Hand gleiten lasse. Die silbern glitzernde Münze auf den von Dreck überzogenen Fingern. Wohin nun? Mein Magen sagt Richtung Frühstück, aber für einen Piso bekomme ich leider nur einen Bonbon oder eine Zigarette.
Stampf, Stampf, Stampf, ich höre die schweren Schritte des Ladenwächters. „Verschwindet ihr kleinen Biester! Macht, dass ihr wegkommt!“ Meine Kameraden und ich müssen unsere kleinen Habseligkeiten schnell zusammensuchen, der Schlagstock schwebt schon über unseren Köpfen, aber wir sind schnell. Mit meiner Pappe in der Hand renne ich über die Straße, zwischen den Jeepney und Tricycles hindurch und in die nächste Seitengasse. Ich glaube dort werde ich nicht noch einmal schlafen. Mein Magen knurrt, das letzte mal etwas zu essen hatte ich gestern Nachmittag: ein bisschen Brot und eine halbe alte Banane. Lecker wäre jetzt Reis, ein Spiegelei und ein bisschen Fleisch, so wie es die Leute in den Häusern essen. Aber das geht jetzt nicht, erst muss ich arbeiten.

Aus dem Mülleimer neben mir ziehe ich einen leeren Plastikbecher und laufe zur Straße.
 Eigentlich ist es ja auch ganz gut, dass ich noch etwas Dreck im Gesicht habe, vielleicht geben mir die Leute dann was von ihrem Geld. Wie man bettelt habe ich mir abgeguckt, den Arm mit dem Plastikbecher einfach ausstrecken und den großen Menschen in die Augen sehen, etwas von „money“ murmeln und die Leute ein paar mal anticken. Es sind viele Leute unterwegs hier an der Jeepneystation, klar jeder möchte pünktlich zur Arbeit kommen. Direkt daneben ist auch der Markt, auf dem immer jede Menge los ist.
Tick, Tick, Tick, money, money money, Tick, Tick, Bread, Bread.

Zehn Leute schütteln ihren Kopf und gehen schnell weiter, dabei höre ich doch das Kleingeld in ihren Taschen klimpern.
Da! Die Schulkinder, die haben immer Geld von ihren Eltern dabei. Ich renne zu einem wartenden Mädchen. Schön sieht sie aus, mit ihren perfekten Haaren und der sauberen Schuluniform und dem Handy in der Hand. Ich frage sie nach etwas Geld. Sofort gibt sie mir fünf Piso und ich weiß auch genau wieso. Keiner der Schulkinder möchte von seinen Freunden gesehen werden, wie er oder sie sich mit uns abgibt, mit den Kleinen, Dreckigen von der Straße. Deshalb geben sie uns schnell etwas von ihrem Geld ab, damit wir verschwinden. Mir soll es recht sein, Hauptsache ich habe etwas.

Ich rieche den Fisch und die vielen Früchte vom Markt und mein Magen meldet sich wieder zu Wort.
 Sechs Piso habe ich nun, das reicht für einen gegrillten Fischspieß vom Straßenstand und eine Zigarette. „Für meinen Papa“, sage ich am Sari-Sari-Store und bekomme das kleine Vergnügen. Ich weiß auch nicht genau wieso ich rauche, ohne wäre irgendwie langweilig. Früher musste ich oft für Papa zum Store um die Ecke unseres Hauses laufen, um für ihn Zigaretten und die Flaschen Alkohol zu besorgen. Das war eine schlimme Zeit, Papa war immer betrunken und ist auch manchmal mit meiner Schwester im Schlafzimmer verschwunden, Mama hat oft geweint, ich sehe noch ihre Tränen über die vielen blauen Flecken in ihrem Gesicht laufen. Irgendwann bin ich einfach weggelaufen, weit weit weg.
Ich esse meine Kleinigkeit auf dem Gehweg, meine Zähne schmerzen mir. Naja, viele Zähne habe ich ja leider nicht mehr, die Dinger fallen viel zu schnell aus wenn man sie nicht putzt oder bei vielen Schlägereien mitmacht. Man muss stark sein hier, sonst schafft man es nicht lange. Ich sitze noch eine weile herum und beobachte die Leute, ich sehe sie mir genau an. Das ist witzig, weil nämlich niemand zurückblickt. Manchmal frage ich mich wieso die großen Leute mich ignorieren, vielleicht sind sie einfach nur in Gedanken. Ich laufe etwas herum, gucke mal hier mal da zu bei dem was passiert, treffe ein paar andere per Zufall und rede mit ihnen.
Am Nachmittag helfe ich bei der Jeepney Station und sage dem Fahrer wie viele Leute noch hinein passen, bis er abfahren kann. „Rechts noch zwei! Links noch einer! Aufrutschen bitte!“ Die Jeepney-Fahrer sind nett, sie geben mir dann immer ein paar Piso wenn der Wagen voll mit Menschen ist. So langsam bekomme ich auch wieder Hunger. Ich laufe eine Straße entlang, auf der einen Seite brechend volle Straßen mit Fahrzeugen, es ist laut, es stinkt. Auf der anderen Seite winken mir freundlich die Maskottchen von McDonalds, Jollibee und KFC zu, laden mich ein auf eine ihrer Köstlichkeiten. Heute nicht meine Freunde, vielleicht morgen denke ich mir und betrachte die wenigen Piso in meiner Hand. Ich weiche den schnellen Schritten der großen Leute aus und schlängle mich durchs Gedränge als ich auf einmal vor zwei weißen Beinen stehe. Ich blicke nach oben und sehe: ein Ausländer! Papa hat immer gesagt, die Weißen, die haben Geld! Die brauchen sich keine Sorgen zu machen. Der junge Mann blickt nach unten zu mir, blonde Haare und auf seinem T-Shirt steht PREDA. Was das wohl heißen mag? Die Sekunden während ich ihn ansehe und er mich kamen mir vor wie Stunden Was denkt er wohl? Vorsichtig hebe ich meinen Plastikbecher mit den wenigen Piso: „Sir, gimme money, Sir!“ Kurz betrachtet er mich noch, hebt dann wieder den Kopf und geht an mir vorbei. Ich sehe ihm hinterher, nun ist er umringt von drei anderen kleinen Kindern, alle mit ihrem Plastikbecher in der Hand.
Während ich die Straße entlang laufe und sich die Sonne langsam senkt, denke ich noch über diesen „Sir“ nach. Was er wohl hier macht? Ziemlich jung kam er mir vor, ich sehe hier oft nur alte Weiße. Wer weiß, vielleicht ist er auch nur zum Urlaub machen hier. Ich bin mir sicher, die Kinder bei ihm zu Hause haben Plastikbecher nur zum Trinken.
Meine Füße schmerzen vom vielen Laufen auf dem harten Boden, von meinem Geruch mal ganz abgesehen. Als ich noch kleiner war haben wir immer im Fluss gebadet, zu Hause in der Provinz. Hier in der Stadt sind die Flüsse dreckig und stinken, da gehe ich nicht rein. Die Lichter der Stadt scheinen rot, gelb und grün. Mädchen in kurzen Hosen, engem Top und viel Schminke stehen an den Eingängen zu geheimnisvollen Häusern, was da wohl passiert? Abseits des Trubels treffe ich meine Gang, jeden Abend treffen wir uns hier. Wenn man hier keine Freunde hat, niemanden der einem hilft, ist man selbst hilflos verloren.
Am Anfang bin ich oft mit leerem Magen eingeschlafen, das war nicht schön. Die Gang ist für mich wie meine kleine Familie, mein Schutz. Ich lege meine 5 Piso in die Mitte des Kreises, neben zwei Bananen und einer Tüte mit braunem Pulver. Braunes Pulver. Das heißt, einer meiner vier Freunde hatte heute genug Geld für ein bisschen Rugby (Klebstoff). Oft habe ich das noch nicht genommen, aber schon ein oder zweimal hatte ich dieses befreiende Gefühl. Keinen Hunger mehr, keine Gedanken, keine Schmerzen. Man fühlt sich frei und vergisst alles um sich herum, das ist echt super. Ich bekomme ein kleines Stück von den Bananen, der Älteste von uns bekommt am meisten, er hat schließlich auch das Rugby herangeschafft.
Während wir im Kreis sitzen und die Tüte von einer Nase zur anderen gereicht wird, sehe ich meine Freunde nacheinander die Augen verdrehen und wie in einem wunderschönen Traum anfangen zu grinsen. Ich bin der letzte, der schnüffeln darf. Ich betrachte die Tüte, die mir in die Hand gedrückt wird. Soll ich, soll ich nicht? Noch eine schlaflose Nacht will ich nicht, sonst kann ich morgen überhaupt nicht arbeiten. Ich atme es ein, ich atme es aus. Ein, aus. Mich durchrauscht ein atemberaubendes Gefühl und das letzte was ich vorm Einschlafen sehe ist meine weinende Mama in meinen Gedanken.
Mein Name ist Sam, Peter oder Ashley. Ich bin zwischen elf und 18 Jahre alt. Mein Zuhause sind die Straßen von Manila.
Dieser Blogeintrag ist frei erfunden, jedoch spiegelt er ungefähr das Leben eines Straßenkindes hier auf den Philippinen wieder. Ich habe aus der Perspektive des Kindes geschrieben, weil ich mir dachte, dass es dadurch eindeutiger wird, wie sich sein oder ihr Leben abspielt.
Das Gefühl an einem bettelnden Kind vorbeizugehen ist nicht schön. Aber was tun, wenn dann auf einmal bis zu zehn kleine Kinder um mich herumstehen und mich um Geld fragen?
Es gibt bis zu 1.5 Millionen Straßenkinder in den Philippinen…

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